Warum Deutschrap immer beliebter wird

Ganze acht Plätze der derzeitigen deutschen Top Ten Single Charts (Stand: 28.10.19) werden von Deutschrappern besetzt. Vier der Hits liefert der Newcomer Apache 207. Schaut man einmal in die Vergangenheit, so zeigt sich ein anderes Bild. Rap war im Mainstream lange Zeit unterrepräsentiert und in den Charts so gut wie gar nicht vertreten. Seit den neunziger Jahren ging es langsam bergauf und seit Mitte/Ende der 2000er-Jahre boomt der Deutschrap so richtig. Auf seinem Höhepunkt scheint er noch immer nicht angekommen, denn immer mehr junge Rapper kommen dazu und verkaufen so gut, wie nie zuvor. Aber woran liegt es, dass Deutschrap immer und immer beliebter wird? Dieser Frage sind wir einmal genauer nachgegangen.

Die Vielfalt an Vertretern des Genres und Subgenres

Zunächst einmal ist zu sagen, dass Deutschrap inzwischen kaum noch vollumfänglich zu fassen ist. Bekannte Interpreten wie der bereits genannte Apache 207 kratzen schon nicht mehr nur am Pop, sie lassen sich gut und gerne auch als Vertreter dieses Genres bezeichnen. Dennoch würde jeder Raphörer Apache als Rapper und nicht etwa als Popsänger kategorisieren. Die Grenzen sind hier also fließend geworden, bzw. genauer: Deutscher Rap ist vielfältiger geworden, er weicht auf (durchaus im positiven Sinne), lässt sich mit seinen Erscheinungen nicht mehr klar benennen und erlaubt immer mehr Spielarten.

Aktuelle Größen, wie Capital Bra oder auch Legenden der Szene wie Bushido oder Sido – der wiederum auch mit Apache einen der in den Charts vertretenen Tracks stellt –, arbeiten ebenfalls längst etwa auch mit Pop- oder gar Schlagersängern zusammen. Eine Tatsache, die heute selbstverständlich scheint. Hätte man einen Sido in Zeiten des berühmten ROYALBUNKERS jedoch gefragt, ob er sich irgendwann vorstellen könne, einen Track mit Rio Reiser, Helge Schneider oder einem schnulzigen Singer-Songwriter aufzunehmen, hätte er einem vermutlich den Vogel gezeigt und in seine Maske gelacht.

Dadurch, dass der Deutschrap immer mehr anbietet – seien es immer mehr Interpreten mit individuellem Rapstil, eigenen Texten und einer markanten Attitude oder immer mehr Subgenres, auf die man sich spezialisieren kann –, können natürlich auch immer mehr Hörer gewonnen werden. Für (fast) jeden ist inzwischen schließlich etwas dabei. Von harten, über weiche, bis hin zu stark politischen und gar intellektuell fordernden Raptexten und diversen Raptechniken und Flows.

Die Kontinuität der Veröffentlichungen

Deutschrapper veröffentlichen heutzutage oft knapp hintereinander zwei Singles. Auch hier sei wieder auf Apache und seine vier Chartplatzierungen verwiesen. Diese Songs hat er allesamt innerhalb von knapp zwei Monaten released. Bei Künstlern anderer Genres können Jahre vergehen, bis sie eine neue Singleauskopplung mit Hitpotenzial produzieren. Oftmals ist auch die Produktion der Alben enorm. Ein Album pro Jahr reicht den meisten nicht aus, zwei sind heute eher Standard, mitunter kommen Mixtapes oder EPs dazu.

Dass Musikern anderer Genres diese Hochproduktivität auf die Nerven geht, kann man verstehen. Was wir nicht gutheißen ist die Reaktion Österreichs auf den Status Quo. Dort hat man bewirkt, dass nur noch die drei bestplatzierten Tracks eines Albums auch in die nationalen Toplisten kommen dürfen. Zwar wird hierdurch mehr Vielfalt geschaffen, die Repräsentativität der Charts allerdings geht damit flöten.

Der Übergang vom Fernsehen zum Streaming

Streaming
Streaming

Auch eine technisch-gesellschaftliche Entwicklung trägt wohl zur steigenden Beliebtheit des Deutschraps bei. Namentlich das Video- und TV-Streaming befördert die Dominanz des Genres gegenüber anderen Genres. Woran liegt das?

Ganz einfach: Fast jeder besitzt heute ein Smartphone und gerade junge Leute benutzen dieses auch als Multimediakonsole. Ganz oben auf der Liste steht das Streamen von Musik oder das von Videos. Gerade Letztere können zwar bei geringem Datenvolumen und langsamer Verbindung ein echter Datenfresser sein und ruckeln. Doch da gerade die jüngeren Smartphone-Nutzer wissen, dass sie viel im Internet unterwegs sind, suchen sie sich oft Tarife mit 2 GB oder mehr. Und dieses Datenvolumen wird dann eben auch genutzt, um etwa Videos zahlreicher Rapper unterwegs zu schauen. Schließlich ist man mit dem Smartphone deutlich flexibler, als mit dem klassischen TV. Logisch, dass daher nicht nur jüngere Leute das Streaming bevorzugen und dem TV kaum noch einen Wert beimessen. Videoportale wie YouTube und Streamingdienste wie Netflix stehen über dem TV-Streaming.

Weil Musikinteressierte nicht mehr auf das Radio und den Fernseher, das heißt, den nicht wirklich beeinflussbaren Konsum des Programms angewiesen sind, verändert sich auch das Konsumverhalten, der Geschmack, die Charts. Früher wurde das gehört, was lief oder gezeigt wurde. Wollte ein Sender aus bestimmten Gründen einem bestimmten Rapper keine Plattform bieten, so hatte dieser einfach Pech. Und viele potenzielle Befürworter der Musik ebenfalls, denn sie kamen mit ihr einfach nicht in Berührung.

Heute lässt sich mit einem Klick auf YouTube jeder neue Rapsong sofort und immer hören. Und weil Rapper sich dieses Umstandes genau bewusst sind (oft sind sie kaum älter, als die Zielgruppe), produzieren sie auch aufwendigere Videos als vielleicht andere Musiker. Teilweise erinnern diese fast schon eher an Kurzfilme. Diese Mühe wird mit einer wachsenden Zuhörer- und Zuschauerschaft belohnt. Und dazu kommt dann natürlich noch das reine Musikstreaming über Spotify & Co.

Die Identifikation mit den Inhalten und dem Lebensstil

Vor allem in den Videos, aber auch den Texten vieler moderner Rapper zeichnet sich ein ganz bestimmter Lebensstil ab. Es geht häufig um teure, auffällige Mode, glitzernde Uhren, schöne Menschen und Partys. Man muss das absolut nicht gutheißen und sollte es auch kritisieren – dennoch kann man zugeben, dass diese Themen bei der jungen Generation nun einmal auf enormen Zuspruch, bzw. großes Interesse stoßen.

Themen hingegen, die in Genres, wie dem Schlager, dem Rock oder auch dem Pop auftreten, werden heute nicht selten als langweilig, uncool oder auch zu verkopft empfunden. Die Rapper hingegen leben in ihren Songs und Videos ein Leben vor, das die Fans selbst gerne leben würden. Oder auf das sie auf je eigene Art und Weise vielleicht sogar hinarbeiten. Die Musiker werden damit zu Vorbildern und Idolen, ihre Kunst zum Identifikationsfeld.

Und wer mit Oberflächlichkeit nichts anfangen kann, findet gleichzeitig auch die mitunter tiefgründigsten Texte der Musikwelt im Rap. Dann natürlich aber meist abseits des Mainstreams im Untergrundbereich. Was bei Deutschrap aber dennoch bedeuten kann, dass ein Lied einige hundert Tausend Male geklickt oder gehört wurde.

Das „Teilhabenlassen“ der Fans an diesem Lebensstil

Teurer Lebensstil
Teurer Lebensstil

Deutsche Rapper haben oft vor allem ein weiteres großes Talent abseits des Schreibens von Texten und Rappens ebenjener – sie sind begnadete Social Media Talente. Das heißt, sie wissen, wie sie über die sozialen Medien mit ihren Fans eine Verbindung aufbauen können. Und sie vermarkten sich, ihre Musik und eventuell ihr Merchandise dadurch natürlich ebenfalls gekonnt.

Für die meisten Fans sind die Einblicke in das Leben der Deutschrapper aber das entscheidende. Capital Bra, Apache 207, Die 187ers, Sido – sie alle teilen oftmals auch ihren Alltag mit ihren Followern. Sie posten Storys darüber, wie sie beim Frisör sitzen, was sie einkaufen, wie sie ihre neue Single im Studio produzieren. Auch hiermit sind sie vielen anderen Künstlern und Musikern einen Schritt voraus. Diese haben vielleicht auch gar keine Lust, genau das zu tun. Im digitalen Zeitalter ist dann aber eben auch damit zu leben, dass die Anhängerschaft vielleicht nicht ganz so groß werden kann und die Plattenverkäufe geringer ausfallen, als bei den Konkurrenten im Rapgenre.

Die mediale Auseinandersetzung mit im Rap behandelten Themen

Ein letzter Punkt, den wir nennen möchten und der eine nicht zu missachtende Rolle spielt ist folgender: Gerade auch, weil immer und immer mehr vorwiegend junge Leute nicht nur deutschen Rap hören, sondern eben auch produzieren, steigt auch die mediale Auseinandersetzung mit dem Genre. Und da das Genre besonders viele Texte hervorbringt, über die diskutiert, debattiert und gehetzt werden kann, ist die Auseinandersetzung eben sogar auch noch einmal besonders hoch.

Man denke nur an den Echo-Eklat Anfang 2018, in den Kollegah und Farid Bang und schließlich auch andere Musiker, vorneweg der sie stark kritisierende Campino von den Toten Hosen verwickelt waren. Die Debatte um Antisemitismus im Rap zog sich durch etliche Tageszeitungen offline und online. Verstärkt wird sich seitdem auch wieder mit Rassismus, Sexismus und Gewaltverherrlichung im Deutschrap auseinandergesetzt.

Diese Debatten mögen manche Raphörer nerven, sie sind aber dennoch nicht unwichtig und sie generieren vor allem eines: Noch mehr Aufmerksamkeit für das Genre. Und das beflügelt natürlich letztlich auch die Beliebtheit, weil dann doch der ein oder andere merkt, dass Rap eben mehr ist, viel mehr, als negatives Gedankengut in abgehakter Vortragsweise AUF monotonen, basslastigen Beats.